Vor fast genau zwanzig Jahren, am 28.01.2002, starb Astrid Lindgren. Eine bemerkenswerte Frau. Aber nicht nur, weil sie mit ihrer selbstbewussten „Pipi Langstrumpf“ weltweit Millionen von Kindern glücklich machte und uns alle mit ihrer Skizze einer unbeschwerten und abenteuerreichen Kindheit in die „Villa Kunterbunt“ oder nach „Taka-Tuka-Land“ entführte. Sie war auch eine Aktivistin für die Rechte der Kinder.

    Lassen Sie die nachdenklich stimmenden Worte der Erfinderin, einer liebenswerten „Systemprengerin“, auf sich wirken. Sie stammen aus einer Rede von ihr, die sie am 22.10.1978 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hielt. Ich denke, denen ist nichts hinzuzufügen.

     

    …„Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben“, hieß es schon im Alten Testament, und daran haben durch die Jahrhunderte viele Väter und Mütter geglaubt. Sie haben fleißig die Rute geschwungen und das Liebe genannt…

    …Ich bin überzeugt davon, dass wir bei den meisten Diktatoren und Unterdrückern auf einen tyrannischen Erzieher stoßen würden, der mit einer Rute hinter ihnen stand, ob sie nun aus Holz war oder im Demütigen, Kränken, Bloßstellen, Angstmachen bestand”…

    ...„Freie und unautoritäre Erziehung bedeutet nicht, dass man die Kinder sich selber überlässt, dass sie tun und lassen dürfen, was sie wollen. Es bedeutet nicht, dass sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen…

    …Jenen aber, die jetzt so vernehmlich nach härterer Zucht und strafferen Zügeln rufen, möchte ich das erzählen, was mir einmal eine alte Dame berichtet hat.

    Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an diesen Bibelspruch glaubte, dieses „Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben".

    Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran, aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben.

    Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte:

    „Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen“. 

    Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind musste gedacht haben:

    „Meine Mutter will mir wirklich weh tun, und das kann sie ja auch mit einem Stein.“

    Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, und beide weinten eine Weile gemeinsam. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche, und dort blieb er liegen als ständige Mahnung an das Versprechen, dass sie sich in dieser Stunde selber gegeben hatte: Niemals Gewalt!...