Aus unserer Sicht ist das ein äußerst geeignetes Angebot für unsere Kinder und Jugendlichen. Nach einem Jahr Erlebnispädagogik ziehen wir nun ein Fazit. Welchen Effekt hat die Natur auf diese Kinder- und Jugendlichen, konnten unsere Erwartungen erfüllt werden und welches Resümee ziehen der Anbieter und vor allem die Teilnehmenden selbst?

Wir haben uns dafür mit dem Anbieter Benjamin Stapf und einem Teilnehmer vor Ort getroffen. Die beiden arbeiten jetzt seit Beginn unserer Kooperation miteinander. In einem lockeren Interview konnten wir einen Eindruck der Arbeit gewinnen, Wünsche erörtern und mit eigenen Augen sehen, welchen Effekt dieser Ort und die Arbeit dort auf die Jugendlichen haben kann. 

Eine Person hält eine Holzschnitzerei in den Händen

Das Naturfreundehaus Hardt, liegt zwischen Herkenrath und Bensberg, umgeben von Wald, die nächsten Häuser sind einige hundert Meter entfernt, Besucher kommen zwar mit Auto und Taxi auf dem kleinen Wanderparkplatz an, die meisten Besucher jedoch benutzen die Wanderwege um dahin zu gelangen. Wir treffen uns vor dem Gruppenraum, geschützt durch ein Wellplattendach mit Blick auf das Gelände, das Ziegengehege und den Wald, sprechen wir bei einem warmen Tee an diesem regnerischen Novembertag über die Maßnahme. Der Biergarten ist wetterbedingt zu und auch der Speiseraum ist leer.

Unser Teilnehmer findet das „gut“. Am Anfang des Jahres haben wir ihn animiert, sich den Ort mal anzusehen und vielleicht überzeugen zu lassen. Damals hatte er große Probleme mit der Anwesenheit fremder Menschen, er versteckte sich damals oft hinter seiner hochgezogenen Kapuze, sprach nicht viel und lächelte kaum bis nie. Das erste was uns heute auffällt sind seine Haare, die hängen zwar immer noch ein wenig ins Gesicht, aber er trägt keine Kapuze, die Haarspitzen sind von Halloween noch etwas rot gefärbt und – welch freudige Überraschung - er nimmt Blickkontakt auf als er uns begrüßt, bevor er weiter schnitzt.

Eine Person liegt im Wald in einer Hängematte

Bei einem Tee der uns alle ein wenig warm hält, stellen wir ihm ein paar Fragen. Das sei ihm lieber so, er wisse ansonsten nicht so recht, was er erzählen soll, sagt er. Seine Antworten sind kurz. Das kennen alle Fachkräfte, die mit ihm arbeiten oder gearbeitet haben. Aber diese kurzen Sätze sind dennoch nicht nichtssagend, sondern durchaus aussagekräftig. Er sei vollauf zufrieden, alles was er im Rahmen dieser Termine mache, gefalle ihm. Er fände es toll in der Natur zu sein, draußen an der frischen Luft, zu schnitzen oder auch mal nur in der Hängematte zu chillen und zu quatschen oder auch einfach mal zu schweigen.

Wir wollen von ihm wissen, ob er das Gefühl hat, dass sich bei Ihm etwas verändert hat und was er auf die Frage antworten würde, was er hier mache und ob er das weiterempfehlen würde. „Ja“ sagt er, er merke, dass er viel ruhiger geworden sei, sich nicht mehr sofort auf „jeden Scheiß“ einlasse und manchmal sogar vorher darüber nachdenke ob das grade eine gute Idee sei. Wenn er seinem alten Ich einen Tipp geben könnte wäre es, sich unbedingt auf diese Maßnahme einzulassen und das würde er auch denen raten, die Ihn fragen. Wir haken nach, was er denn genau sagen würde und er antwortet: “Ja, dass das hilft halt. Bei allem, beim normal werden. Nicht ausrasten, auf Streitereien nicht eingehen, so das normale Leben halt.“ „Vielleicht auch mal durchatmen zu können, also vorher nachdenken und anderes zu reagieren?“ fragt Benni. „Das auch“, so die knappe Antwort.

Eine Person liegt unter einem Baum in einer Hängematte

Benni Stapf hat viel Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen. Regelmäßig befinden sich Schulklassen auf dem Gelände, in den Ferien gibt es Gruppenangebote und jetzt auch noch „Kurve kriegen“. Er weiß, dass es bei unseren Teilnehmenden häufiger mal ein wenig mehr Anstoß braucht. Einen ganzen „Kurve kriegen“-Tag mit Übernachtung hätten die beiden gemacht, erzählt er. In Hängematten unter demselben Wellplattendach, unter dem wir grade sitzen, mit Blick auf die Sterne, selbst zubereitetem Essen, interessanten Gesprächen und den Geräuschen des Waldes im Hintergrund. „Weißt du noch was du damals zu mir über das Essen gesagt hast, dieses gesunde Essen was wir hier zusammen gekocht haben?“ fragt er unseren Teilnehmer. „Das war lecker, das war das beste Essen was ich je gegessen hab“ antwortet dieser mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Seine Frau, so Benni, habe ihm vor einiger Zeit erzählt, dass sie sich mit unserem Teilnehmer unterhalten habe und dabei zum ersten Mal den jungen Mann erblickt habe, der sich ansonsten immer hinter dieser gebeugten Gestalt mit der übergestreiften Kapuze versteckt habe. Ein fröhliches, offenes Gesicht mit einem netten Lächeln. Ein junger Mensch, der vor einigen Monaten am liebsten noch weit weg von allen anderen im Raum saß, heute aber gegenüber den Angestellten vor Ort offen und freundlich auftrete. Mit „Fremden“ habe er es zwar „noch immer nicht so“, aber es würde besser, ergänzt der Jugendliche.

Auch von Benjamin wollen wir wissen wie er die Kooperation sieht. Dieser spiegelt sofort das Verhalten unseres Teilnehmers: „Ja, war gut.“ Über den Scherz können alle lachen und Benni führt aus, dass ihm das Konzept und die Arbeitsweise von „Kurve kriegen“ gefalle. Die Jugendlichen hätten jemanden an ihrer Seite, der / die wirklich nah an ihnen und ihren Bedürfnissen dran ist. Für Ihn war einerseits die Arbeit mit kriminell gewordenen Jugendlichen an sich eine vollkommen neue Erfahrung, zum anderen aber auch die lange und intensive Beziehungsarbeit, die es mit dieser Klientel bedarf. Die Natur bzw. das Erleben der Natur könne dafür sorgen, dass Menschen und insbesondere auch junge Menschen, deren Verhalten vielleicht auch etwas von der Norm abweiche, geerdet würden, zur Ruhe finden können und allgemein auch zu mehr Besonnenheit und einer verbesserten Selbstreflektion beitragen. Die Reflektionsfähigkeit bei den Teilnehmenden sei denn auch spürbar gestiegen, ebenso das Bewusstsein dafür wer sie eigentlich sind und wie sich das anfühle, wenn sie anderen Menschen gegenüber „so oder so“ auftreten.

Die Jugendlichen abzuholen bei ihren individuellen Bedürfnissen sei für ihn das Erfolgsrezept für eine gute pädagogische Arbeit. In Spaziergängen, jeweils zu Beginn der Zusammenarbeit, versuche er so viel wie möglich aus den Teilnehmenden heraus zu lesen, die Haltung, die Bewegungen und das gesamte Verhalten zu analysieren. „Beim einen ist es dann so, dass der eher Geborgenheit braucht, eine Tasse Tee und Wärme um danach raus in den Wald zu gehen und andere wiederum brauchen mehr Action, direkt raus, mit Übernachtung, viel Schnitzen, etwas bauen. Da holst Du dann die Leute da ab, wo sie stehen. Wenn einer dann ein Messer schnitzen will, dann komm ich nicht mit Nee wir machen hier keine Waffen. Das stimmt zwar, wir machen keine Waffen, sondern Werkzeuge und benutzen dafür auch nur Werkzeuge, also ein Messer das wir hier benutzen oder schnitzen, das ist keine Waffe, sondern ein Werkzeug. Und da schaue ich bei jedem einzelnen was die Bedürfnisse sind, was braucht der- oder diejenige um sich hier der Natur zu öffnen um letztendlich ein positives Selbstkonzept zu fördern.“ sagt er.

Benni Stapf mit Teilnehmer im Holzfällerlager

Auch von Ihm möchten wir wissen, ob er glaubt, dass seine Arbeit und auch „Kurve kriegen“ den Teilnehmenden etwas bringt und welche Momente im zurückliegenden Jahr seine persönlichen Highlights waren. Von der Wirkung für die Teilnehmenden ist er vollkommen überzeugt, er meint, dass jeder immer etwas mitnehme und dass dieses etwas vermutlich anhält und nachhaltig wirke. Sein größtes Highlight war die Übernachtung in Hängematten unter freiem Himmel, dabei seien so viele grandiose Gespräche und Situationen entstanden und Erinnerungen geformt worden. Eine Situation beim Waldbaden bezeichnete er folgendermaßen: „Top zwei war die Hängemattengeschichte, mit entspannender Musik im Wald, das ging schon fast ins Esoterische. Wir haben uns da einfach entspannt fallen lassen. In dem Moment waren alle auf demselben Level, wir haben gemeinsam die Sonne und die Schattenspiele in den Bäumen beobachtet. Und irgendwann, wir hatten zwar einen Wecker, den haben wir aber nicht wahrgenommen, sind wir da aufgestanden und das war wie frisch geduscht und zwölf Stunden durchgeschlafen. Das war auch eine krasse Erfahrung.“ Und erst kürzlich habe er beim Drachen steigen lassen eine der schönsten Entwicklungen sehen können. „Das war so einfach und banal, mit einem drei Euro Drachen, aber es war einfach nur Gänsehaut, weil dieser Teilnehmer so glücklich war, so gestrahlt hat und das nur wegen ein bisschen Drachen steigen lassen …“

Essen auf einem runden Grill

Mit Benjamin Stapf haben wir einen Drittanbieter hinzugewonnen, der mit demselben Engagement hinter der Initiative steht wie unser ganzes Team im Rheinisch-Bergischen-Kreis. Einer, der dies auch mit Freude und Authentizität kundtut und in seiner Arbeit zeigt. „Und ich würde „Kurve kriegen“ auch immer weiterempfehlen. Noch lieber würde ich das mit einer „Kurve kriegen“ Tasse machen“, sag er schmunzelnd. Die sehnsüchtig erwartete Tasse bekam er natürlich von uns aber er hat noch weitere Wünsche. Für ihn sei, gerade bei diesen Kindern- und Jugendlichen von „Kurve kriegen“, extrem wichtig, dass die involvierten Akteure zuverlässig und eng zusammenarbeiten und ein konstruktiver Austausch stets gegeben sei. Und natürlich wünscht er sich auch einen weiteren Ausbau der Zusammenarbeit mit der Initiative.

Sehr zum Leidwesen der „Kurve kriegen“ Teilnehmenden (wie auch von uns als Fachkräfteteam), hat es unsere Kollegin Lea Dörwaldt im letzten Jahr zurück in die Heimat, genauer nach Hamburg, gezogen. Von Benni und den Teilnehmenden wurde sie mit einem selbst gemachten Geschenk noch gebührend verabschiedet. Ein Moment voller Wehmut aber auch Herzlichkeit. 

Fest steht, dass die gute Zusammenarbeit zwischen „Kurve kriegen“ und Benjamin weitergeführt wird. Wir freuen uns darauf und gemeinsam mit ihm und seinem Team zu sehen und zu erleben, wie die Teilnehmenden sich weiterentwickeln und – inspiriert von der Natur – in eine hoffentlich positive Zukunft aufbrechen.